Text E
Über Androclus (I)
Lucius grüßt einen Freund. Ich werde dir heute eine unglaubliche Sache erzählen, die ich gestern, als ich im Circus Maximus gewesen bin, mit meinen Augen gesehen habe.Schon wurden sehr wilde Tiere, die aus allen Gegenden des Reiches auf Befehl des Cäsar nach Rom gebracht worden waren, in die Arena getrieben, als plötzlich ein riesiger Löwe eintrat, wobei er mit lauter Stimme brüllte, und sich mitten in die Arena setzte. Zwischen allen Zuschauern stand fest, dass der Löwe die übrigen Tiere an Körperkraft weit übertraf. Als sie durch Bewunderung innerlich bewegt fragten, wer sich dem so großen Tiere widersetzen könne, wurden unglückliche Menschen in die Arena geführt, die zu den Tieren verurteilt worden waren, und flohen ängstlich in die letzten Teile des Zirkus, um sich zu retten. Plötzlich geschah es, dass der Löwe sich einem der Verurteilten nährte. Niemandem war zweifelhaft, dass er den unglücklichen sofort tötete. Der Löwe leckte jedoch die Hand des Menschen, wobei er sich an dessen Körper heranbewegte. Fast glaubte der unglückliche Mensch, schon tot zu sein. Einige Zuschauer trieben den Löwen an, damit er den Menschen angreife; die anderen aber befahlen ihnen zu schweigen; zuletzt betrachteten alle schweigend und aufmerksam, was in der Arena verrichtet wurde. Endlich wandte der arme Mensch, wie aus dem Schlaf erwachte, die Augen zu dem Löwen. Allmählich wich die Furcht der Freude, und schließlich fröhlich, als ob er den Löwen erkannt hätte, legte er seine Arme um das Tier. Dann befahl Cäsar, dass er zu ihm gerufen werde und fragte ihn warum der sehr wilde Löwe ihn verschont hatte. Was dieser Mensch Cäsar erzählt hatte, werde ich dir in einem weiteren Brief erzählen. Lebe wohl!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen