Itinera - Übersetzung Lektion 33

"Leider! Das Versteck deines Bruders Sokrates kenne ich nicht. Er kam hierher im Jänner letzten Jahres und wohnte zwei Monate bei uns. In eben diesen Monaten besuchte er auch des öfteren die Zusammenkünfte jener "Christiani" - ich habe ihm abgeraten, aber vergeblich. Es gab viele Dispute, und ich überzeugte ihn, diesem unsinnigen Aberglauben nicht zu folgen. Irgendwann reiste er dann ab in die Provinzen jenseits der Alpen."
"Oh ich Armer!", rief Aristoxenus aus, "Die Suche geht also weiter! Geschehenes kann man nicht ungeschehen machen! Aber sag mir: Warum hast du meinem Bruder abgeraten, den Zusammenkünften der Christen beizuwohnen?"
Fulvius antwortete nicht ohne Strenge: "In der heutigen Zeit, wo fast alles in Frage gestellt wurde, muß man die von den Vorfahren überlieferten Götter verehren. Die Christen nennen unsere Religion "Greisenmärchen"; sie behaupten, wir wüßten nichts über den Gott oder die Götter. Doch wer von den Menschen weiß schun etwas Sicheres über die Götter? Das eine freilich nehme ich für etwas Fixes: Daß es Götter gibt, das leugnet sicher niemand."
Aristoxenus: "Wirklich niemand? Wenn ich mich richtig erinnere, hat euer Lukrez in seiner Verachtung für die Götter folgendes geschrieben:
Die Religion zeigte der Welt vom Himmel herab ihr Haupt
mit drohender Fratze von oben die Menschen bedrohend - ?"
Fulvius hielt dem entgegen: "Nach unserer Erinnerung hat niemend geglaubt, daß Jupiter, in einen Stier verwandelt, mit Europa sich auf die Insel Kreta begeben oder auch, in einen Adler verwandelt, den Knaben Ganymed in den Olymp entführt habe - das ist in Wahrheit nie passiert, das sind wirklich Märchen. Doch ein göttlicher Geist wohnt in uns, Beobachter und Wächter von Gut und Böse. So wie der von und behandelt wird, so behandelt er selbst uns. Ohne Gott aber ist keiner ein guter Mensch. Oder kann sich jemand über sein Schicksal erheben, wenn nicht mit Seiner Unterstützung? Er ist es, der große und erhabene Gedanken eingibt. In jedem von uns ‚wohnt ein Gott, wenn's auch nicht sicher ist, welcher.'
Diesen Gott nennen die einen von uns den König Jupiter, die anderen Mars, die anderen Ceres, andere wieder mit anderen Namen."

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